Rassismus zwischen Alltag und Extremen – was hat das mit mir zu tun?
Vorweg möchte ich Sie einladen noch einmal bewusst bei sich in diesem Raum anzukommen.
Ihren Atem wahrzunehmen.
Nichts bewusst zu verändern, einfach nur wahrzunehmen was gerade ist.
Wir sind bei Veranstaltungen wie der heutigen, häufig mit dem Wunsch, etwas zu lernen, vielleicht auch etwas zu verändern.
Ereignisse wie der Anschlag in Halle treffen uns tief und scheinen eine schnelle Reaktion zu fordern. Sie machen sichtbar was die ganze Zeit schon da war. Was wir vorher vielleicht nur am Rande wahrgenommen haben.
Um zu sehen, was wir brauchen, was andere Menschen wirklich brauchen, müssen wir jedoch erst einmal innehalten und wahrnehmen was ist.
Heute Vormittag haben sie bereits viele Eindrücke sammeln können.
Vielleicht haben diese auch Gefühle bei ihnen ausgelöst. Vielleicht sind sie mit bestimmten Erwartungen gekommen, möglicherweise auch beeinflusst von dem Anschlag in Halle.
Allein die Wahrnehmung dieser Empfindungen kann bereits viel verändern.
Vielleicht denken sie auch schon an heute Abend und was nach der Veranstaltung vor ihnen liegt.
Immerhin ist heute Samstag, Wochenende. Sie könnten auch auf der Couch, bei ihrer Familie, in der Sauna oder beim Einkaufen sein.
Sie haben sich gegen die Couch und für die heutige Veranstaltung entschieden.
Wer sitzt neben Ihnen?
Kennen Sie die Person bereits? Vielleicht ist es auch ein neues Gesicht.
Wie fühlen Sie sich in diesem Raum?
Wenn wir über Macht sprechen, spielt nicht nur unser Intellekt eine Rolle. Es geht nicht nur um Verstehen und Analysieren.
Die Architektur von Gebäuden, die Atmosphäre in Räumen wirkt sich auf uns aus – auf die Arten wie wir wahrnehmen, uns bewegen und einander begegnen. Unsere Körper sind ein Hauptschauplatz für Machtverhältnisse.
Dabei haben wir kaum Gelegenheiten, uns mit diesen körperlichen Erfahrungen zu beschäftigen. Nicht nur zu sprechen, sondern uns auch für andere Arten der Kommunikation zu öffnen.
Der Kongress trägt den Titel Alltägliche Formen der Ungleichwertigkeit – was hat das mit uns zu tun?
Alltag - Leben - ich - wir
Diese Frage hat uns sehr angesprochen, weswegen wir sie in Form von Was hat das mit mir zu tun? auch in Titel und Konzept unseres Workshops übernommen haben.
Es gibt einmal das wir - wer sind wir als Gesellschaft und wer wollen wir sein?
Und das ich - wer bin ich in dieser Gesellschaft? Wie hat sie mich geprägt und wie präge ich diese Gesellschaft?
Wer möchte ich in dieser Gesellschaft sein?
Die Stichworte Alltag und persönliche Verwobenheit mit Themen sind uns für unsere Arbeit sehr wichtig.
Uns ist bewusst, dass die aktuellen Geschehnisse zu einem Spannungsverhältnis mit unserem Ansatz führen. Der Drang, schnell etwas zu verändern, ist nach einem Ereignis wie dem Anschlag in Halle stärker denn je.
Bei aller Dringlichkeit sind wir selbst dennoch der Anfangspunkt.
Wir möchten in unserem Workshop die Idee von Power, also Macht, als etwas Positives ins Zentrum stellen. Als etwas das nicht an sich positiv ist, das wir aber positiv und produktiv nutzen können, wenn wir uns der Macht bewusst werden. Wir erleben häufig das Gefühl von Machtlosigkeit. Insbesondere wenn wir mit extremer Gewalt konfrontiert werden. Jedoch auch in alltäglichen Situationen – häufig in Form von Sprachlosigkeit und sich erstarrt fühlen.
Alles in unserer Gesellschaft ist darauf ausgerichtet, Macht als etwas zu begreifen, das außerhalb von uns liegt und auch mit Privilegien zu tun hat: Schönheit, Erfolg, Geld, Sichtbarkeit in social Media, physische Stärke.
Viele Menschen möchten diese Dinge besitzen. Es geht dabei um die Anerkennung, die mit ihnen als Versprechen einhergeht. Diesem Versprechen laufen wir manchmal hinterher ohne es zu wissen. Es kann auch das Gefühl entstehen, dass wir versagt haben, wenn wir diese Dinge nicht erreichen können. Manchmal bleibt dieses Gefühl sogar, wenn wir sie endlich besitzen.
Identifikation, role models, Vorbilder spielen eine wichtige Rolle darin, was wir uns vorstellen können zu tun oder zu sein. Es ist nicht unmöglich, eine neue, eigene Vorstellung und eigene Bilder zu entwickeln. Es ist jedoch sehr viel schwieriger und kostet entsprechend Energie.
Die Systeme von Rassismus, Sexismus, Klassismus basieren auf Unterscheidungen anhand äußerlicher Merkmale. Um weiter zu bestehen, sind sie darauf angewiesen, dass wir nicht mit unserer eigenen inneren Vielfalt und der Vielfalt und Menschlichkeit von anderen Personen in Verbindung sind.
Die Verbindung zwischen den Systemen, die unseren Alltag prägen, und unsere Rolle darin wahrzunehmen ist harte Arbeit. Aber auch Arbeit, die sich lohnt.
Wenn wir verstehen, dass wir ungewollt Teil von etwas geworden sind, fühlt sich das vielleicht erst einmal unangenehm an. Wir haben aber auch die Möglichkeit, dies zu verändern.
Wir können uns unseres Einflusses bewusst zu werden und unser Handeln verändern.
Macht ist an sich nicht positiv oder negativ, sie kann jedoch für verschiedene Zwecke eingesetzt werden.
Wenn uns bewusstwird, wie wir geprägt worden sind, können wir selbstbestimmte Entscheidungen für unser Leben treffen.
Welche Rolle haben wir unbewusst eingenommen und welche Rolle möchten wir tatsächlich haben? Handele ich wirklich im Interesse derer für die ich mich einsetzen möchte? Habe ich etwas überhört oder übersehen?
Nachdem ich ein paar gesellschaftliche Mechanismen rund um das Thema Macht und unsere Rolle darin beschrieben habe, möchte ich noch ein paar Punkte speziell zum Thema Rassismus nennen, die uns wichtig sind.
Wenn wir über Rassismus sprechen, meinen wir ein historisch gewachsenes System.
Ein System, das Menschen in Gruppen unterteilt, der einen Gruppe Privilegien, Macht und Ressourcen zuteilt, die andere Gruppe abwertet und ihnen Rechte entzieht.
Alle Bereiche der Gesellschaft sind von diesem Machtverhältnis durchzogen und spiegeln dieses auf unterschiedliche Art wider.
Es handelt sich um eine Struktur, die unser aller Leben mitprägt – auch wenn wir noch nie darüber nachgedacht haben.
Unser Ziel mit diesem Workshop ist es, einen Reflexionsprozess mit ihnen gemeinsam anzustoßen.
Wir möchten sie einladen, ihre Wahrnehmung in Achtsamkeit darauf zu lenken, was im Alltag häufig unsichtbar bleibt.
Unser Ziel ist es, im Kleinen anzusetzen, im alltäglichen Miteinander.
In Deutschland wird Rassismus häufig mit Rechtsextremismus gleichgesetzt, was unter anderem mit der Geschichte von Rassismus im Nationalsozialismus zu tun hat.
Es gibt eine Art Tabu um den Begriff Rassismus, da er unmittelbar mit Rechtsextremismus, Adolf Hitler und den Verbrechen des zweiten Weltkrieges assoziiert werden. Es gab und gibt zwar ein Aufarbeiten dieses Teils der deutschen Geschichte, aber es fehlt häufig immer noch die Verbindung zu uns selbst, unseren eigenen Familiengeschichten, Traumata, die unbewusst an die nächsten Generationen weitergegeben werden.
Was hat das mit mir zu tun?
Und es fehlen auch Prozesse der Versöhnung, nicht nur zwischen Staaten, sondern auch in unserem alltäglichen Leben, in unseren alltäglichen Begegnungen.
So werden der Nationalsozialismus und der deutsche Kolonialismus immer noch getrennt voneinander betrachtet, was ein offenes konstruktives Sprechen über Rassismus erschwert.
Trennung erschwert Heilung.
Wie kommen wir also zu diesem offenen Sprechen? Wie können wir einen Rahmen schaffen in dem wir offen und achtsam sprechen und gemeinsam lernen können?
Wir brauchen einen Bezug, einen Ansatzpunkt in unserem eigenen Leben.
Im Laufe dieses Workshops werden wir Angebote machen, um im Kleinen bei uns selbst anzufangen. Wir möchten gerne Raum schaffen, zum Zuhören, auszuprobieren und wirken zu lassen.